Würzburg (POW) Mit der Schere in der linken Hand zerschneidet Timo beherzt das schwarze Bastelpapier. „Das wird ein ganz süßer Pinguin“, freut sich der Siebenjährige. Den wolle er dann nach Schulschluss zum Spielen mit nach Hause nehmen. Doch bis es soweit ist, dauert es noch. Die erste Stunde hat noch nicht einmal begonnen. Der Erstklässler nutzt fast jeden Morgen zusammen mit vielen anderen Schülerinnen und Schülern das Angebot der Morgenrunde in der Adalbert-Stifter-Schule – um zu basteln, um runterzukommen und sich auf den Schultag einzustimmen.
Diese Morgenrunde ist Teil eines interreligiösen Projekts, das im September 2011 gestartet ist. Die Sozialpädagogin Christina Schön hat die dafür geschaffene halbe Stelle übernommen. Ihre Arbeit beinhaltet zwei große Schwerpunkte: Schulsozialarbeit und interkulturelle/interreligiöse Arbeit. „Ein klare Trennung gibt es aber nicht“, betont Schön. Egal ob in der Morgenrunde, bei der Förderung im Pausenbereich oder während der Einzel- und Gruppenförderung: Die Praxis zeigt, dass beide Schwerpunkte sich vermischen.
In der Grundschule im Würzburger Stadtteil Zellerau kommen Kinder der verschiedenen kulturellen, ethnischen und religiösen Herkünfte zusammen. Rund 230 Schüler aus insgesamt 17 verschiedenen Nationen wie beispielsweise Türkei, Bosnien, Albanien, China oder Togo sind in der Bildungseinrichtung vertreten. Die Religionszugehörigkeit reicht von katholisch und evangelisch über russisch-orthodox bis muslimisch oder buddhistisch. Reibereien sind da keine Seltenheit. Aber es besteht auch die Chance, von anderen zu lernen. Mit der Sozialpädagogin Schön gibt es nun eine ständige Ansprechpartnerin, die sich den Kindern fern von Unterrichtsstoff und Lernplänen widmet und mit ihnen an den Gemeinsamkeiten und Unterschieden arbeitet, um das Miteinander zu fördern. „Mit diesem Projekt wagen wir uns auf ein Experimentierfeld. Das ist eine tolle Sache“, freut sich Rektorin Elisabeth Hippeli.
Denn bislang war es für die Lehrerinnen und Lehrer ein Kraftakt, für die Schüler „in besonderen Situationen“ da zu sein. „Im vergangenen Jahr hatten wir mehrere Todesfälle von Eltern. Es war schwierig, für das betroffene Kind da zu sein und gleichzeitig auch die Klasse nicht zu vernachlässigen“, erinnert sich Bettina Wohlleber, Lehrerin und Fördervereinsvorsitzende der Adalbert-Stifter-Volksschule. Umso toller sei es nun, dass Schön mit ihrer Arbeit diese Lücke schließe.
Der Tag der Sozialpädagogin beginnt um 7.15 Uhr mit der Morgenrunde – Zeit zum Spielen, Basteln und Reden. Den Kindern steht es frei, ob sie das Angebot nutzen oder nicht. Viele allerdings machen Gebrauch davon, einige sogar äußerst regelmäßig. „Timo und Enrico machen immer ein Wettrennen daraus, wer morgens der Erste ist“, erzählt Schön schmunzelnd. Die einen können durch die Aktivitäten richtig wach werden, dass sie später beim Unterricht fit sind, andere nutzen das Angebot und vertrauen Schön ihre Ängste, Sorgen und Probleme an. „Das Vertrauen ist da“, bestätigt Schön.
Schließlich ist sie keine gänzlich unbekannte Person für die Kinder. Schon vor dem Projektstart im Herbst 2011 hat Schön zwei Jahre im „Spieli“, dem Kinderzentrum Zellerau, gearbeitet. „Da bin ich für alle die Chrissi“, erzählt Schön von der lockeren Atmosphäre auf Augenhöhe. Trotzdem, der nötige Respekt sei ebenfalls vorhanden. In den Pausen gehört es nämlich zu Schöns Aufgaben, Konflikte zu lösen. Aber auch Förderung durch Bewegung spielt eine große Rolle.
Das finden Tharisa (8) und Amelie (10) besonders toll. Tharisa umklammert konzentriert Amelies Arme. Bloß nicht die Balance verlieren. Die beiden Grundschülerinnen sind hoch konzentriert. Etwas Gewicht auf das eine Bein verlagern, dann auf das andere – schön im gleichen Rhythmus und Tempo. Beim Combi-Pedalo-Fahren ist Teamwork angesagt. Kein Problem für die Dritt- und Viertklässlerin. Wenn es zur Pause klingelt, toben sie sich öfter gemeinsam aus.
Während der dritten und vierten Schulstunde intensiviert Schön den Bereich Förderung, indem sie mit einem Kind oder einer kleinen Gruppen arbeitet. „Bei der Einzelförderung geht es um die Fragen, wie das Kind die Situation in der Klasse und auch seine eigene Position empfindet“, erklärt die Sozialpädagogin. In der Gruppe gehe es hauptsächlich um Konfliktvermeidung, aber auch um Wahrnehmungsschulung, nämlich Mimik und Gestik richtig zu deuten.
Zum Schuljahresende im Sommer ist eine gemeinsame, interreligiöse Abschlussfeier geplant, die von mehreren Religionsvertretern mitgestaltet werden soll. Schön habe mit der katholischen und evangelischen Gemeinde, dem islamisch-bosnischen Kulturverein sowie mit der islamisch-türkischen Gemeinde Kontakt aufgenommen und eine feste Zusage für die Zusammenarbeit bekommen.
Finanziert wird das Projekt über den Solidaritätsfonds Weinbergsarbeiter der Berufsgruppe der Pastoralreferenten in der Diözese Würzburg. „Die Vollversammlung der Pastoralreferenten hat beschlossen, das Projekt zu unterstützen, weil es eine spannende Kombination aus Schulsozialarbeit und interreligiöser Arbeit darstellt, die es so bislang noch nicht gegeben hat. Da wird Pionierarbeit geleistet, die in der Zellerau am richtigen Platz ist“, betont Pastoralreferent und Solidaritätsfondsbeauftragter Matthias Zöller. 10.000 bis 15.000 Euro im Jahr an Spenden der Pastoralreferenten für den Fonds reichten allerdings nicht aus, um eine halbe Stelle zu finanzieren, erklärt Zöller. Deshalb fließe die Summe aus dem Solidaritätsfonds der Berufsgruppe in den Solidaritätsfonds Arbeitslose der Diözese Würzburg. Auf diese Weise steht die Finanzierung des Projekts bis Sommer 2013. „Wir fördern Projekte immer nur ein bis zwei Jahre. Wir sehen das als Anschubfinanzierung“, erklärt Zöller. Momentan laufen Gespräche, ob die Stadt Würzburg die halbe Stelle nach Förderungsende trägt, so dass das Projekt langfristig gesichert ist.
Veröffentlicht: 08.02.2012 vb (POW)