Erlenbach. „Das ist das noch beschauliche Dorf Appel“, spricht Hartmut Prahm, während die Kamera ihn auf seinem Gang durch die 400-Seelen-Gemeinde im Landkreis Harburg bei Hamburg begleitet. Rotverklinkerte Backsteinhäuschen, Bürger, die ihre Vorgärten sauber halten, ländliche Idylle: Hier will die Verwaltung 53 Asylbewerber unterbringen. „Wir wollen diesen Leuten helfen, aber bitte sozialverträglich“, sagt der Vorsitzende der Bürgerinitiative. Was passiert, wenn in der Nachbarschaft plötzlich Flüchtlinge einziehen sollen, zeigt der sehr sehenswerte Dokumentarfilm „Willkommen auf Deutsch“, der am Sonntagmittag in Anwesenheit des Hamburger Filmemachers Hauke Wendler in der Kinopassage Erlenbach bei überwältigender Publikumsresonanz gezeigt wurde. Im anschließenden Filmgespräch beteiligten sich etliche Bürger, Ehrenamtliche und auch Vertreter der Politik an einer lebendigen Debatte, die Pastoralreferent Andreas Bergmann, Bildungsreferent des Tageszentrums Schmerlenbach, leitete. Das dortige Forum Erwachsenenbildung hatte in Kooperation mit der Kinopassage eingeladen.
Wie passt es zusammen, dass Menschen beteuern, sie hätten nichts gegen Ausländer, kurz darauf aber Bürgerinitiativen gründen, weil sie um die körperliche Unversehrtheit ihrer Töchter oder den Marktwert ihrer Eigenheime fürchten? Dieser Frage gingen die Regisseure Carsten Rau und Hauke Wendler ein Jahr lang auf den Grund. Das Resultat: Ein kontroverser Film über eine kleine, gut situierte Gemeinde, die exemplarisch für so viele Tausende anderer Bedenken aus der bürgerlichen Mitte steht, wenn sie mit Asylantenwohnheimen konfrontiert werden. Es ist auch emotional berührender Film, der zeigt, dass die Situation schwierig, aber nicht hoffnungslos ist, solange man offen darüber redet.
Das ganz nah dran sein, an den Einzelschicksalen der Flüchtlinge ist eine der Stärken des Films. Regisseur Hauke Wendler berichtete, wie insbesondere bei Schwarzafrikanern die immer gleichen, auf keinerlei Fakten beruhenden, Stereotypen aus der Tasche geholt würden. Enttäuschend habe er das Verhalten des Bürgermeisters vor Ort erlebt, der auf der einen Seite die Zusammenhänge zwischen einem globalisierten Wirtschaftssystem und den Flüchtlingsströmen erkennt, auf der andere Seite aber nichts sagt, wenn Einwohner Angst haben, weil junge Männer „gewisse männliche Bedürfnisse“ haben könnten. „Das ist purer Rassismus“, so der Autor, der in seinem Film das Urteilen dem Zuschauer überlässt, aber in Erlenbach klar Position bezog. „Wir müssen uns in Deutschland entscheiden, ob wir Not leidenden Menschen Schutz und Zuflucht zu gewähren – oder nicht.“
Positive Rückmeldungen aus dem Publikum zeigten, wie wichtig der persönliche Kontakt mit den Flüchtlingen, aber auch mit der Bevölkerung ist, um Vorurteile und Ängste abzubauen. Wolfgang Härtel vom Caritas-Kreisverband Miltenberg, der auch die ehrenamtlichen Initiativen im Landkreis koordiniert: nannte aktuelle Zahlen: Die derzeit 488 Asylbewerber seien in 26 Unterkünften auf den Landkreis verteilt. „Das funktioniert ganz gut. Aber wir suchen weiterhin Gemeinschaftsunterkünfte.“ Dabei sei es auch wichtig, einer Neiddebatte nach dem Motto „Die nehmen uns alles weg“ vorzubeugen.
Eine Asylbewerberin aus Wörth schilderte ihre persönliche Lage: Sie müsse sich ein Zimmer mit drei Personen teilen und mit ihrem vierjährigen Kind in einem Bett schlafen. Die psychischen Belastungen der Flüchtlinge, aber auch der Helfer würden häufig unterschätzt, erzählte Wendler, der nach seinem preisgekrönten Film „Tod nach Abschiebung“ selbst erlebt hat, wie sich abgewiesene Flüchtlinge das Leben nahmen. „Das lässt einen nicht mehr los.“
Landtagsabgeordneter Hans Jürgen Fahn, Sprecher für Flüchtlings- und Asylfragen der Freien Wähler, für eine Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort im Rahmen der Entwicklungspolitik aus sowie für eine „gerechtere Verteilung“ sowie mehr dezentrale Unterbringungen in Bayern. Es fehlten Asyl-Sozialarbeiter, der derzeitige Verteilungsschlüssel sei 1:188. In der Debatte wurde auch deutlich, dass weder die Residenzpflicht noch die Regelung, nach der Asylbewerber nach drei Monaten eine Arbeitsgenehmigung bekommen sollen, praktisch umgesetzt werde. Die Erfahrung einer Ehrenamtlichen aus Hösbach: „Auch nach drei Jahren durften sie ihre Verwandten nicht besuchen und saßen in einem Gasthaus fest, wo sie sich nicht mal selbst verpflegen konnten.“
Landrat Jens Marco Scherf, der auch die Schirmherrschaft für das Filmgespräch übernommen hatte, zeigte sich dankbar für die „positive Grundstimmung und „offenen Arme“ im Landkreis.“ Auch Caritas und Kirche würden zu ihren Werten stehen und Verantwortung übernehmen. Scherf erinnerte, wie wertvoll die jungen Asylbewerber für eine Gesellschaft im demografischen Wandel sein können. Außerdem: Ein dauerhaftes Existenzrecht gehöre sich für eine anständige Demokratie. „Menschen in Not muss geholfen werden.“
Sylvia Breckl / schmerlenbach.de